Kittinger hilft Baumgartner beim Versuch, seinen eigenen Weltrekord zu brechen
Beim Projekt Red Bull Stratos dreht sich zwar alles um Felix Baumgartner, doch für das Gelingen der Mission an den Rande des Weltraums zählt der österreichische Extremsportler auf die Erfahrung und das Know-how der Weltraumlegende Joe Kittinger. Bei seinem Sprung aus 36.576 m Höhe will Baumgartner den seit 52 Jahren bestehenden Rekord des ehemaligen Colonels der U.S. Air Force brechen und wie dieser schon vor einem halben Jahrhundert wichtige Daten sammeln, um die medizinische Forschung und das Wissen der Menschheit über die extremen Bedingungen in der Stratosphäre voranzubringen.
ROSWELL, New Mexico (Vereinigte Staaten) – Am 29. August 1960 veröffentliche das US-Magazin LIFE auf seinem Titelblatt eines der berühmtesten Bilder seiner Geschichte: In einem Raumanzug gekleidet stürzt sich Joe Kittinger, ein Offizier der U.S. Air Force, weg von der Kamera in Richtung Erde. Im Hintergrund erstreckt sich ein Wolkenmeer soweit das Auge reicht. Zum Zeitpunkt der waghalsigen Mission befanden sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion mitten im so genannten Wettlauf ins All. Kittingers mutiger Sprung sorgte auf der ganzen Welt für Schlagzeilen und lieferte Bilder, die sich seit jenem berühmten Tag in das kollektive Gedächtnis von hunderten Millionen US-Amerikanern eingeprägt haben.
Knapp 52 Jahre später ist Kittinger nun ein wesentlicher Bestandteil des Teams, mit dem der Österreicher Felix Baumgartner durch einen noch höheren Sprung aus der Stratosphäre im freien Fall die Schallmauer durchbrechen will. Der ehemalige Kampfjetpilot der U.S. Air Force, der im Korea- und Vietnam-Krieg diente, unterstützt die Mission mit seinem umfangreichen Wissen. Bei seinem Sprung im Jahr 1960 hatte Kittinger beinahe Schallgeschwindigkeit erreicht. Nun will er Baumgartner helfen, im Spätsommer 2012 als erster Mensch der Geschichte dieses legendäre Ziel zu erreichen.
Knapp über fünf Jahrzehnte nach seiner Mission ist Kittinger nach wie vor eine der berühmtesten Figuren in der US-Raumfahrt-Szene und hat durch seine bahnbrechende Forschung längst Legenden-Status erreicht. Mit seinem Sprung im Rahmen des Projekts Excelsior stellte er den Rekord für den höchsten, schnellsten und längsten Fallschirmsprung der Geschichte auf. Auch als Kampfjetpilot hat Kittinger zahlreiche Auszeichnungen erhalten und leitete als Geschwaderkommandeur im Vietnamkrieg insgesamt 483 Einsätze. 1972, knapp vor dem Ende seiner dritten Stationierungszeit auf der Insel, wurde sein Flugzeug abgeschossen. Daraufhin verbrachte Kittinger elf Monate in einem Gefangenenlager in der Stadt Hanoi.
Für seine Sprünge im Rahmen der Projekte Excelsior und Manhigh wurde Kittinger zweimal das Distinguished Flying Cross verliehen. Präsident Dwight Eisenhower überreichte ihm persönlich die Harmon Trophy für außergewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet der Raumfahrt. Zu seinen weiteren Auszeichnungen zählen zwei Silver Stars für besondere Tapferkeit vor dem Feind, fünf Distinguished Flying Crosses, zwei Purple Hearts, zwei Bronze Stars mit der Bandauflage ‚Combat V‘ für Tapferkeit in einem Kampfeinsatz sowie nicht weniger als 24 Air Medals.
Joe erhielt bereits den Rang eines National Aeronautics Association Elder Statesman of Aviation und bekam vom Smithsonian National Air and Space Museum die Lifetime Achievement in Aviation Trophy. Kittinger ist außerdem Honorary U.S. Army Golden Knight und hält die höchste Auszeichnung sowohl der National Aviation Hall of Fame als auch der U.S. Ballooning Hall of Fame und der National Skydiving Museum Hall of Fame. Im Laufe seiner langjährigen Karriere hat er über 16.800 Flugstunden in 93 verschiedenen Flugzeugtypen absolviert.
Nun unterstützt der US-Amerikaner das Team rund um das Projekt Red Bull Stratos mit seinem technischen Wissen und fungiert außerdem als Baumgartners persönlicher Mentor. Trotz des Altersunterschiedes von genau vier Jahrzehnten hat sich zwischen dem 83-jährigen Kittinger und dem 43-jährigen Baumgartner eine enge Freundschaft entwickelt.
Kittinger sei es eine „Freude“, Baumgartners Mission zu unterstützen, mit der der Österreicher im kommenden Sommer den bereits 1960 im Rahmen des Projekts Excelsior III aufgestellten Rekord von 31.333 m Höhe knacken will.
„Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Das Streben nach ‚schneller, höher, tiefer, weiter‘ liegt in der Natur des Menschen. Dieser Sprung ist eine Herausforderung, aber Felix ist gut vorbereitet. Wir müssen ihn sicher ins Weltall bringen und dann wieder sicher zurück auf die Erde. Dabei wollen wir so viele Daten wie möglich sammeln. Das Projekt macht uns allen richtig Spaß. Die ganze Welt wird an diesem unglaublichen Abenteuer teilhaben”, so Kittinger.
Mit Red Bull Stratos will Felix Baumgartner mit einem einzigen Sprung gleich vier seit über 50 Jahren bestehende Weltrekorde brechen: Neben der höchsten bemannten Ballonfahrt (36.567 m), dem höchsten Fallschirmsprung und dem längsten freien Fall (ca. 5 Minuten 30 Sekunden) will der Österreicher als erster Mensch der Geschichte im freien Fall Überschallgeschwindigkeit erreichen.
Die im Rahmen des Projekts gesammelten Daten werden mit Wissenschaftlern auf der ganzen Welt geteilt und sollen zur Weiterentwicklung der Luft- und Raumfahrtforschung beitragen.
Die Erkenntnisse, die durch die Mission Excelsior III gewonnen werden konnten, leisteten damals einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Weltraum und der Entwicklung des modernen Raumanzugs. Mit Red Bull Stratos will das Team rund um Baumgartner nun neue Daten für die medizinische Forschung liefern und auf der Basis der Erkenntnisse aus dem Jahr 1960 ein besseres Verständnis der für das Überleben im Weltraum notwendigen Bedingungen schaffen.
„Damals haben wir uns eineinhalb Jahre darauf vorbereitet“, erinnert sich der sehr freundliche und umgängliche Kittinger, der zehn Jahre jünger als seine 83 Jahre aussieht. „Beim Sprung war ich bereit. Im freien Fall wusste ich, dass ich aus dem für den Menschen sehr feindlichen Weltall hinein in die für den Menschen sehr freundliche Erdatmosphäre unterwegs war. Oben sind die Bedingungen extrem schwierig. Je weiter man sich der Erde nähert, umso freundlicher erscheint unser Planet. Im freien Fall habe ich beinahe die Schallmauer durchbrochen, nun wird Felix diese Grenze knacken. Durch die zusätzlichen 5.000 Höhenmeter wird die Luft dünner sein. So wird er schneller fliegen können als ich damals.“
In seinem Artikel schrieb das Magazin LIFE damals: „Neunzehn Meilen über New Mexico sprang Kapitän Joseph Kittinger von der Plattform seines Heißluftballons. Mit einem neuen Geschwindigkeitsrekord im freien Fall zeigte er, zu welchen unglaublichen Taten der Mensch fähig ist. Unmittelbar nach dem Absprung, als Kittinger bereits mit 200 Fuß pro Sekunde in Richtung Erde unterwegs war, machte eine automatische Kamera an Bord das atemberaubende Bild, das auf der Titelseite abgebildet wurde.“
Seit seiner Pensionierung von der U.S. Air Force im Jahr 1978 ist Kittinger nach wie vor im Bereich der Luftfahrt sehr aktiv und gilt als eine Legende des Ballon-Sports. 1983 stellte er mit einem Gasballon-Flug von 3.221,23 km einen neuen Rekord in der Klasse AA-06 auf; 1984 schaffe er mit seinem 3,000 m³ „Balloon of Peace“ die erste Soloüberquerung des Atlantiks.
Kittinger gibt zu, dass er nur allzu gerne seinen Sprung aus dem Weltall wiederholen würde. Nur halb im Scherz erklärte er sich bereit, Baumgartner im Notfall zu vertreten. „Ich bin der Ersatzmann”, so Kittinger, mit ernster Miene. „Wenn Felix was passiert, bin ich sofort startbereit.“