TECHNIK-TALK – Was genau versteht man eigentlich unter einem „Strömungsabriss“?

RIO DE JANEIRO, Brasilien – Die Frage, wie der brasilianische Rookie Adilson Kindlemann beim WM-Rennen in Perth bei seinem Trainingsflug in den Swan River abstürzen konnte, wurde unter den Rennteams heiß diskutiert. Schon bald war die Formulierung „Strömungsabriss“ in aller Munde und wurde allgemein als mögliche Ursache für das aeronautische Phänomen genannt, das zum Unfall, den Kindlemann glücklicherweise ohne Verletzungen überstand, geführt hatte.

Doch für alle, denen eine solche Terminologie fremd ist, kann diese Beschreibung aus der Luftfahrt schnell zu Missverständnissen führen. Bei allen mit Radantrieb ausgestatteten Fahrzeugen kann der Motor abgewürgt werden – wenn er aus irgendeinem Grund zu stottern beginnt und dann stehen bleibt. Die meisten haben schon einmal erlebt, dass der Fuß von der Kupplung abrutscht und dies eine direkte Auswirkung auf den Motor hat. Also ist der Begriff „abwürgen“ – oder „stall“ im Englischen – in dieser Hinsicht gut verständlich. Umgekehrt ruft aber bei denjenigen, die für gewöhnlich nicht im Cockpit von Flugzeugen sitzen, das Konzept des „Flügelabrisses“ erst einmal Kopfschütteln hervor. Also fangen wir am Anfang an: Wo genau ist der Motor nochmal … ?

LUFTSTRÖMUNG ÜBER DEN FLÜGELN

Wenn man einen Rennexperten wie den TV-Kommentator Steve Jones dazu befragt, erhält man eine gut überlegte und fundierte Erklärung, wie unterschiedlich der Druck der Luft über und unterhalb der Flügel ist – und auch, dass dieses Phänomen für die Antriebskraft des Flugzeuges verantwortlich ist. Soweit noch klar? Gut. Als nächstes erklärt Jones, dass genau dieser Luftfluss über den Flügeln abrupt unterbrochen wird, wenn man den Knüppel nur einen Hauch zu weit nach hinten zieht und die Flügel in einem zu großen Winkel anstellt – nämlich über einen kritischen Punkt hinaus.

„Das nennt man dann Strömungsabriss“, bestätigt Jones und gibt den Normal-Sterblichen unter den Motorsportfans eine sehr genaue und „benutzerfreundliche“ Erklärung. „In diesem Augenblick gibt es fast keinen Antrieb mehr und das Flugzeug stoppt. Auch der Widerstand vergrößert sich dabei. Je nach Form und Neigungsgrad der Tragfläche variiert der kritische Winkel der Flügel von Flugzeug zu Flugzeug.“

INS TRUDELN GERATEN

Für jemanden mit einer ungefähren Vorstellung aerodynamischer Vorgänge ist das kein Buch mit sieben Siegeln. Aber für alle anderen sei gesagt, dass dies mit Auftriebskraft zu tun hat und damit, die Strömung auf der oberen Fläche der Flügel aufrecht zu erhalten. Alle Flugzeuge werden in der Prototyp-Phase auf ihre besonderen „Strömungsabriss-Eigenschaften“ getestet und viele erfahrene Piloten sind schon in die Falle getappt, die in diesem Geschäft als „Abtrudeln“ bezeichnet wird. Das ist der Augenblick, wenn ein Flügel vor dem anderen einen Strömungsabriss erfährt und das Flugzeug sich wie ein riesiger, um die eigene Achse drehender Pusteblumen-Samen der Erde nähert. Auch das gehört manchmal, so unglaublich es klingt, zur obligatorischen Flugausbildung.“

Dieses Szenario ist natürlich weit entfernt von dem Adilson Kindlemanns. Aber alle Piloten sind sich bewusst, wie ungemein schwierig eine außer Kontrolle geratene Maschine sein kann. Und man kann wohl mit Sicherheit behaupten, dass der brasilianische Rookie diesen Fehler kein zweites Mal begehen wird. Rennpiloten haben ein intuitives Gefühl für diesen „Strömungsabriss“ und wenn sie in tausenden Flugstunden ihre extrem manövrierfähigen Rennmaschinen durch alle möglichen Achsen steuern, wissen sie für gewöhnlich wie man dieses Phänomen vermeidet. Unglücklicherweise verfügte Kindlemann im Parcours nicht mehr über genügend Höhe, um dem Strömungsabriss schnell genug entgegenzuwirken. Und so nahm er in Perth im wahrsten Sinne des Wortes ein etwas verfrühtes Bad.